Was kann die Politik tun?
Maria Michalk – Vorsitzende der Arbeitsgruppe Gesundheit
Obwohl die demografische Entwicklung seit den 1970er Jahren absehbar ist, wurde sie lange ignoriert. Heute sind die Auswirkungen der demografischen Entwicklung deutlich erkennbar. Manche meinen, ein Bedrohungsszenario vor sich zu haben. Mir ist es wichtig, die neuen Herausforderungen als Chance zu begreifen, und zwar in allen Bereichen unserer Gesellschaft. Deshalb kommt es als erstes darauf an, die weit verbreitete Skepsis gegenüber Neuem, Innovationen und Veränderungen abzubauen, besser noch zu verlieren.
Für die Gesundheitspolitik bedeutet das als erstes eine verschärfte Konkurrenz der Leistungserbringer mit anderen Berufsfeldern schon bei der Entscheidung der Berufswahl. Alle werben um die weniger gewordenen jungen Menschen. Attraktivität und Perspektive eines jeden Berufes treten stärker in Erscheinung.
Im Gesundheitswesen mehr als bisher müssen sich alle zweitens stärker auf die Zunahme älterer und multimorbider Patienten einstellen. Ob Pflegeberufe, Ärzte, Apotheker, Zahnärzte, Psychotherapeuten, Heilmittelerbringer und viele mehr, alle müssen bereits in ihrer Ausbildung und dann auch in der Weiterbildung darauf eingestellt sein, denn niemand kommt an diesem Fakt vorbei. Bei der Langzeitpflege steigt die Komplexität der pflegerischen Versorgungsbedarfe. Im Krankenhaus wächst der Anteil älterer und durch Demenz veränderter Patientinnen und Patienten, in den niedergelassenen Praxen ist Barrierefreiheit und mehr Unterstützung und damit mehr Zeit notwendig und nicht zuletzt sind auch Veränderungen im Notfall- und Rettungswesen nicht mehr auszublenden.
Zum Dritten ist zu beachten, dass die jetzt im Gesundheitswesen aktiven Leistungserbringer in zunehmender Größenordnung altersbedingt in den wohlverdienten Ruhestand gehen werden. Wie schwer es ist, im niedergelassenen Bereich eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger zu finden, ist inzwischen in allen Teilen unseres Landes beispielhaft hinterlegt.
Es ist davon auszugehen, dass bis zum Jahr 2025 der Bedarf an zusätzlichen Pflegekräften auf 300.000 ansteigt. 61 % aller Pflegebetriebe suchen heute schon Personal. Auf 100 freie Stellen kommen 45 Bewerber. Ein Sechstel aller Pflegebetriebe hat bereits Fachkräfte aus dem Ausland rekrutiert. Dennoch: mehr qualifizierte Einwanderung darf nicht die eigentlichen Aufgaben in den Hintergrund treten lassen, und das sind Bezahlung, Arbeitsbelastung und das Ansehen in den Pflegeberufen.
Im Bereich der Mediziner ist zusätzlich auf die modifizierten Erwartungen der Medizinstudenten zu reagieren, die in der Arbeitszeitgestaltung, im Haftungsrisiko und in der Attraktivität der Berufsausübungsregion liegen.
Deshalb stellt sich die Frage, was unternimmt die Politik mit Blick auf diese sehr differenzierte Entwicklung?
Hier ist zuerst auf die Initiative der Bundesregierung aus dem Jahr 2012 hinzuweisen, die in der Altenpflege eine Ausbildungs- und Qualifizierungsoffensive startete. Hier wird vor allem die Aus- und Weiterbildung gefördert. Sie unterstützt auch sogenannte Quereinsteiger in diesem Bereich, z.B. durch die Übernahme der Umschulungskosten im dritten Ausbildungsjahr durch die Bundesagentur für Arbeit. Es gibt auch unter bestimmten Voraussetzungen die Ausbildungsverkürzung. Auch die Nachqualifizierung von Pflegehelferinnen und Pflegehelfern ist ein wichtiges Element.
Das Zwischenergebnis dieser Initiative bestätigt den Anstieg der Ausbildungszahlen. Es gibt aber keinen Grund, in den Anstrengungen nachzulassen. Deshalb wurde u.a. im Koalitionsvertrag vereinbart, die Pflegeausbildung grundsätzlich zu reformieren. Neben der Generalistik ist vor allem auch die Aufwertung des Berufsbildes eines Altenpflegers durch Ansehen und Bezahlung im Blick. Aber eben auch die Vorbereitung auf die unterschiedlichen altersgerechten Herausforderungen in der Krankenpflege durch die älter werdende Gesellschaft. Dieses große Reformprojekt in der dualen Ausbildung des Pflegeberufes wird nur in enger Zusammenarbeit mit allen Bundesländern sowie allen schulischen Einrichtungen und Praxisbetrieben in den stationären und ambulanten Versorgungsbereichen gelingen.
Ähnliche Herausforderungen bestehen in der Ausbildung von Medizinern. Zwar haben wir derzeit in Deutschland mehr Ärztinnen und Ärzte als je zuvor, aber noch nie waren die Berufsbilder junger Mediziner unterschiedlicher. Mehr als bisher gekannt legen sie Wert auf eine geregelte Arbeitszeit, was für die Berufsausübung als Hausarzt nicht immer realistisch ist. Deshalb ist das Arbeiten im Anstellungsverhältnis moderner geworden. Ob im Medizinischen Versorgungszentrum, im Krankenhaus oder auch im Pharmabereich, ist letztlich durch die sehr differenzierte Spezialisierung der modernen Medizin unerheblich. Den Nachteil haben wir daher in der traditionellen hausärztlichen Versorgung. Die Arbeitszeitgestaltung von jungen Medizinerinnen ist familiengeprägter und oft auf Teilzeit ausgerichtet. Das sorgt für zusätzlichen Fachkräftebedarf.
Von daher ist die Vielfalt der Arbeitsmöglichkeiten und Arbeitszeitgestaltungen eine echte Notwendigkeit, um auf den jeweiligen Bedarf vor Ort reagieren zu können. Gerade im ländlichen Raum ist der Bedarf dafür groß. Dass junge Mediziner während der Facharztausbildung nicht nur in Ballungsgebieten arbeiten und dort letztlich auch ihren Arbeitsort wählen, muss in die praktische Ausbildung auch die Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeit des ländlichen Raums einbezogen werden. Viele Kreiskrankenhäuser und auch niedergelassene Praxen sind Ausbildungspartner geworden und es zeigt sich in der Tat, dass dies zum Abbau von Vorurteilen gegenüber dem dünner besiedelten Raum führt und die Bereitschaft, dort zu praktizieren, erhöht.
Während des Studiums sind sowohl die Spezialisierungsmöglichkeiten des Arztberufes aufzuzeigen, als auch die Herausforderungen in der Grundversorgung und damit der Hausarzttätigkeit. Das wollen wir durch mehr Praxisnähe schaffen.
Das Humanmedizinstudium hat einen hohen wissenschaftlichen Anspruch. Deshalb sind auch die Zugangsvoraussetzungen anspruchsvoll. Allerdings sind bei den Studienzulassungen stärker als bisher die Vorqualifikation bzw. die mentale Komponente für das Praktizieren in der Versorgungswirklichkeit zu berücksichtigen. Das entscheiden aber letztendlich die Hochschulen selbst. Von daher sind Modellstudiengänge sehr sinnvoll.
Ebenso steht auf der Agenda die Praxis der Teilzulassungen. Und wenn in Deutschland die Studienplatzzahl festgeschrieben ist, so dass u.a. mit Versichertengeldern Auslandsstudienplätze belegt und subventioniert werden, dann ist das zwar für die Vermeidung von Fachkräftemangel sinnvoll, ordnungspolitisch allerdings fraglich. Hier brauchen wir eine ehrlichere Diskussion.
Es geht also um eine zielgerichtetere Auswahl der Studienplatzbewerber, die frühzeitige Förderung der Praxisnähe, die Stärkung der Allgemeinmedizin im Studium und die wissenschaftliche Ausbildung des ärztlichen Nachwuchses.
Der Vollständigkeit halber muss aber auch darauf verwiesen werden, dass auch die Arzthelfer, die MTA, die Psychotherapeuten, alle medizinischen Handwerksberufe, der Gesundheitsfachwirt und weitere im Gesundheitssystem notwendige Fachgruppen im Kontext des Wettbewerbs um junge Fachkräfte nicht vernachlässigt werden dürfen. Stärker als bisher muss bei der Berufsorientierung in den allgemeinbildenden Schulen und durch die Bundesagentur für Arbeit auf diese Berufschancen hingewiesen werden.
Es handelt sich zumeist um wohnortnahe Ausbildungs- und Arbeitsplätze. Und da das Gesundheitswesen eine ständig wachsende Branche ist, sind dies auch Berufe mit Zukunft. Dieser Aspekt ist auch stärker in der Öffentlichkeit zu platzieren.