Was haben sich die Weltgesundheitsorganisation und der International Council of Nurses (ICN) in 2019 wohl gedacht, als sie 2020 zum weltweiten (Aktions-)Jahr der professionell Pflegenden und Hebammen ausriefen? Ganz sicher nicht, dass das Motto des Jubiläums-Tag der Pflegenden am 12. Mai einer Prophezeiung gleichkommen würde, denn es lautet „Pflege – Eine Stimme, die führt – Die Welt gesund pflegen“? Es sollte ein Jahr werden mit weltweiten Veranstaltungen, Kongressen und Aktionen. In die Geschichte eingehen wird dieses Jahr stattdessen als größte globale Bewährungsprobe seit Kriegszeiten.
Der Grundgedanke des Aktionsjahres war, auf die Systemrelevanz beider Gesundheitsberufe aufmerksam zu machen, ohne die gemäß WHO nachhaltige Entwicklungsziele und eine universelle Gesundheitsversorgung nicht erreicht werden können. 2020 sollte sich darauf fokussieren, die enormen Leistungen von Pflegefachpersonen und Hebammen hervorzuheben und den Mangel an diesen lebenswichtigen Berufen zu adressieren.
Covid_19 dürfte jegliche Nachhaltigkeitsziele und den Ruf nach einer universellen Gesundheitsversorgung konterkariert haben. Ein Brandbeschleuniger, der die Folgen politischer Fehlentscheidungen aufzeigt, denn als systemrelevant galten bisher in der breiten Öffentlichkeit vor allem Großbanken, die in Krisenzeiten mit Staatshilfen in Milliardenhöhe aufgefangen wurden. Too big to fail. Und plötzlich hat uns ein globales Virus schmerzlich vor Augen geführt, dass etwas viel Größeres systemrelevant ist: ein funktionierendes Gesundheitssystem mit einer nachhaltigen, gesunden Personalpolitik.
Um auf diesen Missstand aufmerksam zu machen, sollte 2020 ein buntes Jahr werden, das die politischen Akteure weltweit dazu auffordert, in allen Ländern Ressourcen bereitzustellen, um das Image von Pflegeberufen zu stärken und junge Menschen für den Beruf zu begeistern, erklärt der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe. Zentralveranstaltungen sollten die Weltgesundheitsversammlung in Genf, die 11. ICN NP (Nurse Practitioner) / APN (Advanced Practice Nursing) 2020 Konferenz in Halifax (Kanada), die Nightingale2020 Konferenz in London und der heutige Internationale Tag der Pflegenden am 200. Geburtstag der Krankenpflegepionierin Florence Nightingale sein.
Dazu Annette Kennedy, ICN-Präsidentin: „Florence Nightingale nutzte ihre Lampe, um die Orte zu beleuchten, an denen Pflegende arbeiteten. Ich hoffe, die Würdigung von 2020 als Internationales Jahr der Pflegenden und Hebammen wird uns eine neue Vision 2020 bringen darüber, was Pflegen in einer neuen Ära bedeutet und wie professionell Pflegende den Weg weisen zu universeller Gesundheitsversorgung und Gesundheit für alle!“ Ohne die Zukunft vorausgeahnt zu haben, wurde das Motto des diesjährigen Internationalen Tags der Pflegenden mit Blick in die Vergangenheit gewählt: Während des Zweiten Weltkriegs musste die Pflege die bis dato weltweit größten Spaltungen und das größte Leid miterleben und konnte dennoch die Versorgung gewährleisten und Hoffnung geben – im und nach dem Krieg.
Und nun ist die Pflege unter #Covid_19 im Ausnahmezustand, nicht zuletzt, weil professionell Pflegende überall auf der Welt im Kampf gegen das Virus sterben. Ein Berufsstand, dessen Reihen aufgrund von umfangreichen Sparmaßnahmen ohnehin bis an die Schmerzgrenzen ausgedünnt waren, steht im Kampf gegen das Virus in der ersten Reihe und hat in vielen Ländern hohe Verluste zu beklagen. Sicherlich werden die auf der EU-Geberkonferenz bereitgestellten mehr als 7 Milliarden Euro helfen, das Virus zu bekämpfen. Aber was geschieht danach? Wird die Anerkennung der Pflegekräfte und der Hebammen als systemrelevante Berufsgruppen über die Krise hinaus Bestand haben?
Seit Wochen sehen wir an den zahlreichen Rückmeldungen von Pflegekräften auf facebook.com/MedicalTopJobs, dass einmalige Bonuszahlungen und ein kurzfristiges Bekräftigen der Wertschätzung nicht ausreichen werden. Viele befürchten, dass es nach der Krise mit der Ökonomisierung des Gesundheitswesens genauso weitergeht, wie zuvor. Dabei sind die Forderungen ganz klar: gerechtere Löhne, bessere Arbeitsbedingungen, also auch mehr Personal, und ein humaneres Gesundheitssystem.
Nachhaltige Konzepte müssen her und der internationale Ruf nach sog. Government Chief Nursing Officers, Pflegebevollmächtigten innerhalb der Regierungen, wie es sie bereits auch in der Bundesregierung gibt, werden laut. Diese sollten nach Ansicht von Howard Catton, dem Hauptgeschäftsführer des ICN, die Autorität erhalten, eine wesentliche Rolle für Planung, Entwicklung, Implementierung und Evaluation von Gesundheitsstrategien und Gesundheitssystemen zu spielen. Ihre Expertise solle die Entwicklung von Gesundheitspolitik und Versorgungssystemen substanziell anreichern und dafür sorgen, dass der Einsatz von Pflegefachpersonal optimiert werden kann. Nur auf diese Weise könne die Pflegeprofession gut geplant und koordiniert werden und den Bedürfnissen der Bevölkerung begegnen, für die sie ihre Dienstleistungen erbringe.
Die deutsche Bundesregierung erntet international Anerkennung beim Umgang mit dem Virus. Sie hat jetzt die einmalige Chance, die Welle der Akzeptanz und die Sichtbarkeit der Systemrelevanz der Pflegeberufe und Hebammen zu nutzen, um mit nachhaltigen Konzepten die Attraktivität der Gesundheitsberufe zu erhöhen und die Arbeitsbedingungen trotz Ökonomisierung zu verbessern. Florence Nightingale würde das begrüßen.
Links zu den Verbänden:
International Council of Nurses
Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe
NP/APN Network
Shortlink zum sharen des Beitrags:www.medicaltopjobs.de/blog/ind20Shortlink kopieren
Lesen Sie auch unseren Beitrag: Community Health Nursing – Masterstudiengänge gegen die deutsche Versorgungskrise