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Tarifverhandlungen: Flexible Arbeitszeiten in kommunalen Krankenhäusern

06.11.2021

Marburger Bund und VKA suchen Kompromiss

Seit Beginn der Pandemie wird zunehmend über die Arbeitsbelastungen in Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern gesprochen. Bessere Arbeitsbedingungen für Beschäftigte im Gesundheitswesen stehen zwar inzwischen auf der politischen Agenda aller Parteien. Die Verhandlungen zwischen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften verlaufen aber oft schleppend, was nicht zuletzt mit den gegensätzlichen Anforderungen an so genannte flexible Arbeitszeiten zu tun hat. In der ersten Runde der Verhandlungen zwischen der Ärztegewerkschaft Marburger Bund und der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeber VKA am 14.10.2021 konnte kein Ergebnis erzielt werden. Am 16.11.2021 sollen die Verhandlungen nun in der zweiten Runde in Berlin fortgeführt werden.

Kommunale Krankenhäuser – Kernelement der Daseinsvorsorge

Krankenhäusern in kommunaler Trägerschaft kommt eine besondere Rolle zu. Burkhard Jung, Leipziger Oberbürgermeister und Städtetagspräsident, betonte in einem Beitrag der Ärztezeitung vom Juni 2021, dass sich gezeigt habe, „wie wichtig kommunale Krankenhäuser für die Versorgung seien. Sie stellten ein Kernelement der Daseinsvorsorge dar und würden für eine sichere Versorgung aller Menschen gebraucht – nicht nur in Pandemiezeiten.“ Ein guter Grund also, die Arbeitsbedingungen für Ärztinnen und Ärzte in kommunalen Krankenhäusern so attraktiv wie möglich zu gestalten, wobei die aktuellen Verhandlungspositionen des Marburger Bundes zeigen, dass es hier noch erheblichen Verbesserungsbedarf gibt. Laut Christian Twardy, Verhandlungsführer des Marburger Bundes, fehle der VKA noch das „notwendige Problembewusstsein“.

ÄrztInnen brauchen zeitgemäße Arbeitszeitmodelle  

Der Wunsch nach planbaren Diensten, freien Wochenenden und Begrenzung der Bereitschaftsdienste ist nicht neu und trägt auch der veränderten Struktur der Ärzteschaft mit einem immer höheren Frauenanteil Rechnung. Während im Jahr 1998 das Verhältnis zwischen Studentinnen und Studenten nahezu ausgeglichen war, liegt der Frauenanteil bei den Absolventen des Medizinstudiums heute bei 65 Prozent. Frauen haben, was Arbeitszeiten und Vergütung angeht, einen spezifischen Bedarf. Bereits 2008 wurde im Ärzteblatt, auf eine Umfrage des Marburger Bundes verwiesen: Für 27 Prozent der Ärztinnen, aber nur 19 Prozent der Ärzte war eine Reduzierung der Arbeitszeit „am wichtigsten“. 35 Prozent der Männer, aber nur 30 Prozent der Frauen hielten eine höhere Vergütung für wichtig. Bei der Frage nach der Familienfreundlichkeit eines Krankenhauses, lagen die Werte noch weiter auseinander: 46 Prozent der Frauen sagten, das sei „am wichtigsten“, nur 24 Prozent der Männer teilten diese Auffassung. Heute, fast 14 Jahre später, spiegeln sich diese Präferenzen in den aktuellen Tarifverhandlungen wider.

Die Sicht des Marburger Bundes

Die durch den Marburger Bund vertretene Sicht beinhaltet die bessere Ab- und Eingrenzung von Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft und eine striktere Einhaltung von Ruhezeiten. Zahlreiche Berufe sind immer noch klar in Arbeitszeit und Freizeit getrennt. In den Berufen, in denen das Verfließen von Arbeitszeit und Freizeit möglich ist, wird dies inzwischen als „hybrides Arbeiten“ beschrieben. Gemeint damit ist eine Arbeitszeit in einem flexiblen Zeitraum und an unterschiedlichen Orten sowie mit geschäftlichen und privaten Geräten. Beschleunigt wurde dieser schon zuvor festzustellende Trend noch einmal durch die Coronapandemie. Trotz aller Kritik, z.B. an der Gefahr der ständigen Verfügbarkeit, schätzen viele Menschen heute die Flexibilität, die freie Raum- und Zeiteinteilung beim Arbeiten mit sich bringen. Als eine spezielle Form des hybriden Arbeitens kann man die Rufbereitschaften bezeichnen. Das sind die Zeiten, in denen ärztliche MitarbeiterInnen sich für den Fall bereit halten müssen, dass sie am Arbeitsplatz gebraucht werden. Die Vorteile des hybriden Arbeitens werden hier jedoch durch die damit einhergehende Arbeitsbelastung aufgehoben, wenn es z.B. nicht mehr möglich ist, ausreichende Ruhezeiten einzuhalten. Gemäß Marburger Bund bietet die „Flexibilität“ der ärztlichen Arbeitszeiten derzeit mehr Vorteile für Arbeitgeber. Grenzen zwischen den Diensten seien nicht klar genug definiert oder deren Einhaltung kann aufgrund der angespannten Personalsituation nicht ausreichend beachtet werden. Auch wenn Angehörige anderer Berufe die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit teilweise bereitwillig verwischen: Rufbereitschaften und die im Krankenhaus üblichen zusätzlichen Bereitschaftsdienste, die im worst case die zur Regeneration der Arbeitskraft notwendigen Ruhezeiten aushebeln, kennen wohl nur die wenigsten.

Die Forderungen des Marburger Bundes

Der zu verhandelnde Tarifvertrag, der für rund 55.000 Ärztinnen und Ärzte in den 324 kommunalen Krankenhäusern gilt, beinhaltet neben einer Gehaltserhöhung in Höhe von 5,5% die Forderungen nach Änderungen des Bereitschaftsdienstes und der Rufbereitschaft sowie der Ruhezeit:

- zusätzliche Dienste nur unter Berücksichtigung von § 14 Arbeitszeitgesetz (ArbZG):
Ab dem 01.01.2022 sollen Ärztinnen und Ärzte nur bis zu vier Bereitschaftsdienste im Kalendermonat leisten. Die Anordnung weiterer Dienste sei nur bei außergewöhnlichen Fällen nach § 14 ArbZG zulässig. Diese liegen nach § 14 ArbZG vor „bei unaufschiebbaren Arbeiten zur Behandlung, Pflege und Betreuung von Personen.“

- eine reine Monatsbetrachtung bezüglich der Anzahl freier Wochenenden:
Der Marburger Bund fordert eine reine Monatsbetrachtung bezüglich der Anzahl freier Wochenenden, indem Ärztinnen und Ärzten nur an höchstens zwei Wochenenden im Kalendermonat regelmäßige Arbeit, Bereitschaftsdienst oder Rufbereitschaft angeordnetwerden dürfe.

- die Garantie eines freien Wochenendes im Monat: 
Jedenfalls ein Wochenende ohne jede Arbeitsleistung im Kalendermonat sei zu gewährleisten.

- Rufbereitschaften und Ruhezeiten:
Gegenüber Ärztinnen und Ärzten sollen im Kalendermonat nur bis zu zwölf Rufbereitschaften angeordnet werden können. Zudem sollen Ruhezeiten mit einer Kernruhezeit von 0 bis 6 Uhr gelten.

- eine Gehaltserhöhung in Höhe von 5,5 Prozent: 
rückwirkend ab dem 01.10.2021

Die beiden Verbände in der Tarifverhandlung: Marburger Bund und VKA

Marburger Bund
Der Marburger Bund ist die gewerkschaftliche, gesundheits- und berufspolitische Interessenvertretung aller angestellten und beamteten Ärztinnen und Ärzte in Deutschland. Verhandlungsführer für den Marburger Bund in dieser Tarifverhandlung ist Christian Twardy.

VKA
Spitzenverband der kommunalen Arbeitgeberverbände in Deutschland. Die VKA vertritt fast 10.000 kommunale Arbeitgeber in Deutschland mit mehr als 2,3 Millionen Beschäftigten. Im Zuge der diesjährigen Tarifrunde verhandelt die VKA für die 324 kommunalen Krankenhäuser, die Mitglied eines kommunalen Arbeitgeberverbandes unter dem Dach der VKA sind. Verhandlungsführer in dieser Tarifverhandlung ist Wolfgang Heyl für den VKA.


Die Sicht der Vertreter der kommunalen Krankenhäuser

Die Forderungen des Marburger Bundes prallen auf die teilweise konträr stehende Auffassung des Verhandlungspartners: Die VKA begegnet dem Forderungskatalog des Marburger Bundes mit den diversen Herausforderungen, denen sich kommunale Krankenhäuser gegenübersehen:

- finanzielle Ausfälle aufgrund verschobener Operationen während der verschiedenen Phasen der Coronaepidemie

- finanzielle Mehrbelastung durch die vom Marburger Bund in die Tarifverhandlung eingebrachten Forderungen, die von der VKA auf 420 Millionen Euro beziffert werden

- geringere Flexibilität der Arbeitszeiten, die aufgrund der Einschränkungen bei Bereitschaftsdiensten und Rufbereitschaften zu zusätzlichen Belastungen der Arbeitsorganisation führen

Und auch die Oberbürgermeister fürchten um den Bestand ihrer Krankenhäuser. „Wir möchten deutlich Alarm schlagen“, sagte der Präsident des Deutschen Städtetages, Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung, bei einer virtuellen Pressekonferenz im Juni 2021. Nahezu alle der bundesweit rund 500 kommunalen Krankenhäuser seien mittlerweile chronisch unterfinanziert und im Corona-Jahr 2020 habe sich das Geschäftsergebnis der Häuser um durchschnittlich rund sechs Millionen Euro verschlechtert.

Neben der angespannten finanziellen Situation stehen die kommunalen Krankenhäuser vor einer weiteren Herausforderung: der knappen Verfügbarkeit ärztlichen Personals, die in manchen Regionen zum Problem wird. Die Tatsache, dass die Nachfrage nach Teilzeitarbeit gestiegen ist und die Forderungen der Arbeitnehmerseite nach einer Begrenzung der Dienste, werden die Situation weiter verschärfen. Die ausreichende Verfügbarkeit von qualifizierten Ärztinnen und Ärzten und die entsprechenden finanziellen Mittel, die in einer Kommune immer gegenüber anderen Bereichen der Daseinsvorsorge zu verteidigen sind, stehen hier im Mittelpunkt.

Fazit: Unterschiedliche Interessen erfordern einen Kompromiss

Letztlich ist es im Interesse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, ein „gesundes“ Arbeitsumfeld vorzufinden, gleichzeitig ist es im Interesse der Verantwortlichen der kommunalen Krankenhäuser, gesunde und zufriedene Angestellte zu haben, um gemeinsam Patientinnen und Patienten erfolgreich behandeln zu können. Wie man sieht, streben zwar beide Parteien flexible Arbeitszeiten an - allerdings sind damit unterschiedliche Erwartungshaltungen verbunden. Das Ergebnis der anstehenden Verhandlungen muss auf einen Kompromiss hinauslaufen, mit dem beide Seiten leben können. Was vielen nicht bekannt ist: Die ursprüngliche Bedeutung eines Kompromisses beinhaltet die Übereinkunft von streitenden Parteien, die Entscheidung eines selbstgewählten Schiedsrichters anzuerkennen. Die beiden Tarifparteien suchen jedoch einen Kompromiss in zweiseitiger Abstimmung, was es sicherlich nicht einfacher macht.

Die Verhandlungen zwischen dem Marburger Bund und der VKA werden nun am 16.11.2021 in der zweiten Runde der diesjährigen Tarifverhandlungen in Berlin fortgeführt.

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Quellen:
Informationen zur Tarifrunde 2021 (TV-Ärzte/VKA). Forderungen des Marburger Bundes in der Tarifrunde 2021 mit der VKA. (Ärztinnen und Ärzte in kommunalen Krankenhäusern)

Marburger Bund Presseinformation vom 15. Oktober 2021 Tarifverhandlungen für Ärztinnen und Ärzte an kommunalen Krankenhäusern auf 16. November 2021 vertagt. 

Marburger Bund: Der Verband. 

VKA Presseinformation vom 22. September 2021. Forderungen des Marburger Bundes überfordern kommunale Krankenhäuser

VKA Presseinformation vom 14. Oktober 2021. Auftakt der Tarifverhandlungen für kommunale Krankenhäuser ohne Ergebnis vertagt

Archiv Deutsches Ärzteblatt 2017: Ärztinnenstatistik: Ärztinnen gelangen selten in Spitzenpositionen 

Archiv Deutsches Ärzteblatt 2008: Arztberuf - Die Medizin wird weiblich 

Ärztezeitung vom 17.06.2021: Städtetag will frisches Geld für kommunale Krankenhäuser 




geschrieben von Ulrike Röse-Maier